Zweitzeuge Matthias Thoma erzählt in der Senckenberg-Schule über den Eintracht-Fan Helmut „Sonny“ Sonneberg
„Die Begegnung mit einem Zeitzeugen ist die beste Vorbeugung gegen das Gift des Antisemitismus.“, stellt Dr. Mark Fachinger, Verantwortlicher für das Projekt „Zeitzeugen“ im Bistum Limburg, fest.
Mit den Jahren werden allerdings diejenigen, die direkt aus der Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung erzählen können, immer weniger. Umso wichtiger, wenn es sogenannte Zweitzeugen gibt, die gut zugehört haben, was ihnen aus erster Hand erzählt wurde.
Einer der Zweitzeugen, die das Bistum im Portfolio hat, war in der Johann-Christian-Senckenberg-Schule Runkel zu Gast. Die Schülerinnen und Schülern der Jahrgänge 9 und 10 lauschten Matthias Thoma, Leiter des Eintracht Frankfurt Museums, was er zu berichten hatte. Viele Jahre hat dieser nämlich zugehört, was im Helmut „Sonny“ Sonneberg erzählt hat, auch wenn dessen Erzählungen zu Beginn eher schleppend waren. „Sonny rückte nicht so recht mit der Sprache heraus, er wollte zunächst nicht sprechen und sagte immer: frach mei Schwester!“, so Matthias Thoma über den im Februar 2023 verstorbenen Eintracht-Fan, der Theresienstadt überlebt hat.
Dass Helmut Sonneberg überhaupt mit Mathias Thoma über seine Kindheit und Jugend als Jude in Frankfurt ins Gespräch kam, liegt daran, dass Thoma 2019 ein Buch veröffentlicht hat, in dem er die NS-Geschichte der Eintracht aufgearbeitet hat. Dieser Mut wurde belohnt, denn als Sonny Sonneberg dieses gelesen hatte, fasste auch er den Mut, Matthias Thoma in seinem frankfurter Dialekt anzusprechen: „Ich kann dir auch was dazu verzähle“. Und er erzählte. Zum Glück, denn aus diesen Erzählungen entstand ein wundervolles Buch mit dem Titel „Von Ausgrenzung und Eintracht. Sonnys Geschichte“. Aus diesem Buch und von den vielen Begegnungen mit Sonny Sonneberg wusste Thoma zu berichten.
Eingeleitet mit einem Kurzfilm, in dem Sonny Sonneberg selbst zu Wort kam, wurde den anwesenden Schülerinnen und Schülern schnell klar, dass dieses Zweitzeugengespräch emotional werden kann.
Helmut Sonneberg wurde 1931 als uneheliche Sohn eines jüdischen Paares, das nicht zusammenblieb, geboren. Die Mutter heiratet kurze Zeit später einen Katholiken, der Sonny adoptiert und als seinen Sohn ins Herz schließt. Das Ehepaar Wessinger erkennt schon 1933 die Zeichen der Zeit und sowohl Helmut „Sonny“ Sonneberg als auch seine Mutter Ria werden katholisch getauft. Sonny wächst zunächst unbeschwert in Frankfurts Innenstadt auf. Mit dem Pogrom im November 1938 änderte sich sein kindliches Leben. Er sieht mit der Mutter, dass die Synagoge am Börneplatz brennt, versteht nicht, dass sie darüber in Tränen ausbricht. Auch später, als sie zuhause sind und die Mutter ihm sagt, dass er gar nicht katholisch sei sondern jüdisch, versteht er nicht, was das für ihn und seine kleine Schwester Lieselotte, die für die Nazis als Halbjüdin gilt, bedeutet. Der Druck wird größer, die Familie kämpft, dennoch muss Helmut ab 1940 zunächst im jüdischen Kinderheim im Räderbergweg leben, ab 1942 im Kinderheim in Sachsenhausen, seit einem Jahr muss er den gelben Stern tragen. Die dort lebenden Kinder sind fortan Schikanen und Erniedrigungen ausgesetzt: Sie werden beschimpft, bespuckt, getreten. Auch die regelmäßigen Besuche seiner Eltern helfen nicht darüber hinweg. Ein kleiner Trost ist sicherlich, dass die Mutter als Küchenhilfe im Kinderheim Sachsenhausen arbeitet und Sonny somit nahe sein kann. Seit 1942 ist auch kein Schulbesuch mehr erlaubt. Als 1943 das Kinderheim geräumt und die Kinder deportiert werden sollen, traut sich der Stiefvater, bei der Gestapo vorzusprechen. Sein Ehrenzeichen aus dem Ersten Weltkrieg hilft, dass Sonny der Deportation entgeht und zuhause bei seiner Familie bleiben kann. Aber auch nur da, denn an ein Spielen auf der Straße mit Gleichaltrigen ist nicht mehr zu denken. Er muss fortan in der Wohnung bleiben. „Das war schlimm für ihn.“, erzählt Matthias Thoma, Sonny habe dort täglich auf seine Schwester gewartet und sich gefreut, wenn diese aus der Schule kam, um mit ihr gemeinsam zu lernen. Lesen habe ihm über diese Zeit hinweg geholfen, so Thoma.
Als im März 44 der Bombenangriff auf Frankfurt die Stadt zerstört, wird die Familie obdachlos, lebt kurz im Süden Deutschlands, dann wieder in Frankfurt, wo Sonnys zweite Schwester Gerdi im Juni geboren wird. Am 8. Februar wird die Mutter darüber informiert, dass sie am 14.Februar 1945 nach Theresienstadt deportiert werden soll. Zusammen mit ihrem Sohn Helmut. Matthias Thoma zeigt während seiner Erzählungen das Familienfoto, das am Abend vor der Deportation gemacht wird. Man sieht den Gesichtern an, dass die Sorge sehr groß ist.
Über die Erlebnisse in Theresienstadt und seine verlorene Kindheit und Jugend hat Sonny Sonneberg lange geschwiegen. Bis ins hohe Alter habe er damit gehadert, keine Schulbildung genossen zu haben, erzählt Thoma. Vergessen habe er die Erlebnisse nie, auch wenn er als extrovertierter Eintracht-Fan immer die Nase vorne hatte, vor allem das Mundwerk. „Sonny hatte das, was man als Schlappmaul bezeichnet“, berichtet Thoma, denn Sonneberg habe immer direkt gesagt, was ihm gefalle oder eben nicht.
Der glühende Fan war Eintrachtler durch und durch und „das hat ihm vielleicht geholfen, all das zu verarbeiten“, erzählt Matthias Thoma. Die schönste Anekdote sei, dass er sich von dem Geld, das er als Entschädigung für sein Leiden in der NS-Zeit erhielt, einen Käfer gekauft habe. Dieser hatte seinen ersten großen Einsatz 1959: Die Eintracht spielt die Meisterschaft in Berlin und Sonny malt den Käfer schwarz-weiß an. Die Schwester schneidert einen Anzug, selbstverständlich auch in schwarz-weiß. Krönung im wahrsten Sinne ist der selbst kreierte Eintracht-Zylinder, der ab dann Kult-Status erreicht.
Nach seinem Tod findet man im Tunnel am Stadion sein Graffitti an der Decke und überall im Land kleine Aufkleber mit dem schwarz-weißen Eintracht-Zylinder. Eine Hommage an den glühenden Eintracht-Fan.
„Hätte Sonny hier gesessen, hätte er die Turnhalle gerockt“, beschreibt Matthias Thoma das Ehrenmitglied, dass erst in den letzten Lebensjahren den Mut fand, vor Jugendlichen über seine Erlebnisse zu sprechen. „Und er hätte auch gewusst, wann es zu emotional wird und er einen Witz einstreuen muss“, schiebt Thoma hinterher. Dieses Gespür hat der Museumsleiter von Sonny übernommen und wusste genau die Balance zu halten zwischen dem unerträglichen Leid, das Sonny erlebt hat, und der extrovertierten Fan-Karriere, die ihn unsterblich werden ließ. Zur Erinnerung schenkte er der Schule das Buch zu Sonnys Geschichte.
Hannah Teumer, Jahrgang 10, und Arno Schmidt, Jahrgang 9 bedankten sich stellvertretend für die beiden Jahrgangsstufen zum Einen bei Dr. Marc Fachinger, dass es solche wichtigen Projekte gibt. Sie freue sich, dass die Senckenberg-Schule in den Genuss kam, die Geschichte von Helmut Sonneberg zu erfahren. Des Weiteren bedankten sie sich bei Matthias Thoma, dass er Sonnys Geschichte weitergibt, denn ein Mensch sei erst vergessen, wenn sein Name vergessen sei.